Der Fliesenrestaurator – Restauration von historischen Fliesen und Platten
Aufgabe und Anspruch bei der Restaurierung von Fliesen und Platten aus gebranntem Lehm
Ein Fliesenrestaurator ist in Fragen der Berufsbeschreibung und dem Ziel seiner Arbeit kein Sonderfall unter den Restauratoren. Denn ganz fraglos geht es auch bei der Restaurierung von Fliesen – wie bei jeder anderen Form von Restauration – immer und ausschließlich darum, die Erhaltungsbedingungen des jeweiligen Objektes zu verbessern – und das natürlich möglichst mit minimalsten Eingriffen.
Seit mehr als 25 Jahren restaurieren wir in ganz Deutschland und weiten Teilen Europas vor allem antike, also mehrere Jahrhunderte alte Baukeramik Fliesen, Platten, Ziegel und Steine, die unglasiert aus Lehm oder reinem Ton gebrannt wurden – in Kirchen, Schlössern, Burgen, aber auch in Fachwerkhäusern oder im Rahmen von Altstadtsanierungen.
Wenn wir den in der Gründerzeit vor knapp 200 Jahren durch den „Vater der Restaurierung“, Eugène Viollet-le-Duc, eingeführten Begriff der Restaurierung im Allgemeinen und der Restauration von Fliesen oder Platten im Besonderen betrachten, wird schnell klar, dass darüber nicht immer Konsens bestand. Vielmehr hat sich auch hier eine langsame Wandlung sowohl in ihrer semantischen Eingrenzung als auch in der Auswirkung auf die praktische Arbeit ergeben. Der Begriff des Restaurierens und dessen Inhalt haben sich mit jedem einzelnen Jahrzehnt bis zu unserem klaren, heutigen Verständnis geradezu mühsam verändert.
Mitglied „Restaurator im Handwerk“
Der Fliesenrestaurator erhält und bewahrt die Originalsubstanz der Baukeramik
Verschüttet, verwittert, vergessen? Fliesen sind unser Erbe, das wir schützen
Wir denken dabei an die vielen Anpassungen und Paradigmenwechsel des Restaurations-Begriffs, wie sie etwa durch Ruskin herbeigeführt wurden, der in einer Restaurierung die Verfälschung des vorgefundenen Zustands und damit des Denkmalwerts eines Gebäudes oder Gegenstands verstand und deshalb nur das reine Konservieren gelten lassen wollte. So findet sich auch der Fliesenrestaurator in einer Gegenwart wieder, die einzig und allein die Erhaltung der Originalsubstanz kennt, unabhängig von den Möglichkeiten und Interpretationen. Denn es zählt nur das Werk in dem Zustand, wie es der Restaurator im Moment des Beginns seiner Restaurierung vorfindet.
Deshalb besteht heute der Großteil der Arbeit eines Restaurators vor allem darin, fehlerhafte Eingriffe aus der Vergangenheit rückgängig zu machen – Fliesen bilden da keine Ausnahme. Trotz allem stehen auch wir heutigen Restauratoren, genau wie unsere Vorgänger aus anderen Jahrhunderten, vor dem Problem, zeitgenössische Kompromisse eingehen zu müssen, die möglicherweise für spätere Generationen undenkbar sein werden.
Der Fliesenrestaurator und der Fußboden
Die Fliese und ihr außergewöhnliche Stellung bei der Restaurierung
Fliesen und Platten, ob schon restauriert oder noch nicht, haben neben ihrer auf der Hand liegenden, dekorativen Funktion zwei besondere Bestimmungen: Sie sind auf der einen Seite fast zwingend immer Teil eines Ganzen, das wiederum in seiner Gesamtheit und Ensemblewirkung das komplette Raumgefüge mitbestimmt, und befinden sich zum anderen in der Regel fast immer in Gebrauch. Somit ist ein rein musealer Charakter, wie er etwa Gemälden, Plastiken und anderen reinen Kunstobjekten immanent ist, in ihrem Fall nur teilweise oder gar nicht gegeben.
In unserer täglichen Arbeit als Restauratoren haben wir es vornehmlich mit Jahrhunderte alten Bodenfliesen, Bodenplatten und Ziegeln aus gebrannten Lehm zu tun, selten mit glasierten Wandfliesen oder -mosaiken. Genau wie Treppen, Türen, Fenster sind natürlich auch Fußböden, die ja bis vor 200 Jahren fast ausnahmslos aus gebranntem Lehm (mit Ausnahme von Holz und Naturstein) bestanden, bei der Restaurierung im Fachgebiet Bauteile (Bereich Baukeramik) angesiedelt.
Stiefmütterlicher Umgang mit Fliesenfußböden in der Vergangenheit
Viele Schätze aus dem Mittelalter warten auf ihre Restaurierung
Bereits vor einem halben Jahrhundert hat Hiltrud Kier, die berühmte Kunsthistorikerin, frühere Stadtkonservatorin und Generaldirektorin der Museen der Stadt Köln, auf die besondere Stellung des mittelalterlichen Lehmfußbodens* hingewiesen: „Der Fußboden ist ein Teil des Raumes. Das Verhältnis des Menschen zum Raum bestimmt das Konzept seiner jeweiligen künstlerischen Ausgestaltung, der sich Wände, Decke und Fußboden unterwerfen müssen. Erst aus dem Zusammenwirken [aller drei Elemente] entsteht der Raum einer Epoche.“
Darin finden wir die zuvor erwähnte Sonderstellung des Fußbodens bestätigt. Zugleich aber wird seine oft stiefmütterliche Behandlung (als Raumelement) in der Vergangenheit deutlich, wenn Kier betont: „Wir müssen zunächst davon ausgehen, dass nahezu alle mittelalterlichen Räume als Torso auf uns gekommen sind. […] Ihnen allen ist fast immer das Fehlen eines künstlerisch gestalteten Fußbodens gemein“.
Der aus gebranntem Lehm gefertigte Fußboden war zwar im Mittelalter die normale Grundlage, wurde aber – gerade in Kirchen – nicht als wichtigster Teil des Raumgefüges wahrgenommen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand oder ergeben sich vielmehr aus dem Blickwinkel des Betrachters. Denn Gotteshäuser wurden vor allem dorthin gebaut, wo allgemein Gott auch vermutet wird: auf vielen Etagen, so weit nach oben wie möglich, in Richtung Himmel. Besonders prunkvoll ausgestaltet waren vor allem die Decken, die wohl am ehesten in Gottes Nähe zu verorten sind, und die Wände mit ihren liebevoll gearbeiteten Bleiglasfenstern. Dorthin sollte der Blick gelenkt werden. Wer auf dem Boden steht und seinen Blick nach oben richtet, kann den Boden, auf dem er steht, nicht sehen.
Der Fliesenrestaurator und die Baukeramik
Fußböden aus Lehmfliesen und ihre Restauration
Daneben trifft auch ein Restaurator von Mittelalter-Fußböden auf dieselben Probleme, die sich jedem stellen, der sich mit der Zeitepoche zwischen dem 6. und 16. Jahrhundert befasst: äußerst lückenhafte Aufzeichnungen, die sich aus der noch wenig verbreiteten Schriftsprache ergeben. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass sowohl die Erforschung als auch die Restaurierung ein relativ junges Gebiet sind.
Die meisten Mittelalter-Fußböden bestehen aus gebranntem Lehm, den wir auch in unserer Sprache Terracotta, also gebrannte Erde, nennen. Denn der älteste Baustoff der Menschheit ist bei entsprechender Sachkenntnis gut zu verarbeiten und kann meist problemlos vor Ort abgebaut werden.
Die Restaurierung von (unglasierter Baukeramik in Form von) Terracotta-Fliesen, die meist aus der frühmittelalterlichen Epoche stammen, wird oft unterschätzt. Da sie ihre Wirkung nicht als Einzelstücke, sondern in ihrer Gesamtheit erzielen, muss zwingend auch die Umgebung mit in die Betrachtungen einbezogen werden. Die Fugen und der Untergrund spielen eine große Rolle, da sie im Gegensatz zu Lehmfliesen nach mehreren hundert Jahren oft vollkommen ersetzt, saniert oder zumindest anderweitig bearbeitet werden müssen. Denn sonst wäre die Reinigung von Fliesen und Platten, also den eigentlichen Restaurationsobjekten, tatsächlich sinnlos.
Der Fliesenrestaurator und sein Rüstzeug
Jahrzehntelange Erfahrung und Zusammenarbeit mit Spezialisten
Genau wie bei jeder anderen Restauration richtet sich auch die Arbeit des Fliesenrestaurators nach den zu restaurierenden Objekten, den verwendeten Materialien und den angewendeten Techniken. Neben der historischen Einordnung und allgemeinen Bedeutung muss auch der Restaurator von antiken Fliesen, Platten und Ziegeln aus Terrakotta die chemischen und physikalisch Besonderheiten des Materials kennen und bestimmen.
Der Umfang einer Restaurierung setzt sich heute allgemein zusammen aus:
- der Befundung der vorhandenen Substanz
- das Erarbeiten eines Konzepts über Vorgehensweise, Zielvorstellung und Methodik
- der Reinigung und gegebenenfalls Freilegung relevanter Fassungen
- der Sicherung (Konservierung im eigentlichen Sinne)
- der Präsentation der Substanz im Kontext der Fehlstellen und der sonstigen Umgebung eines Werkes sowie
- der umfassenden Dokumentation des Restaurierungsprozesses
Der Fliesenrestaurator und seine Werkstatt
Zielführende und punktgenaue Restaurierung von Fliesen
Das Leistungsspektrum eines Fliesenrestaurators, das nicht nur die selbstständige Entwicklung und praktische Ausführung von Konservierungs- und Restaurierungskonzepten für Fliesen, Platten und Ziegel umfasst, ist sehr komplex. Denn neben den Voruntersuchungen und Dokumentationen, die unabdingbar sind, gehört natürlich und vor allem die fachliche Beratung der Eigentümer oder Verantwortlichen zu seinen Aufgaben. Darüber hinaus muss ein Restaurator von Fliesen komplexe Projekte planen, steuern und überwachen sowie regelmäßig wichtige Forschungsbeiträge leisten.
Meist wird die Restaurierung von Fliesen vor Ort ausgeführt, aber gelegentlich werden die Restaurationsobjekte sorgfältig und fachmännisch herausgelöst, um erst in unserer Restauratorenwerkstatt bearbeitet und später dann in restauriertem Zustand wieder an der originalen Fundstelle, also in situ, eingefügt zu werden.
Fliesenrestaurator – Mehr als ein Restaurator
Restaurierung von Fliesen aus gebranntem Lehm: Punktgenaues Zusammenspiel aller Disziplinen
In den vorangegangenen Abschnitten hatten wir herausgearbeitet, dass der Fliesenrestaurator unter seinen Kollegen in Bezug auf die Berufsbeschreibung und das Ziel seiner Arbeit kein Sonderfall ist, dass aber das zu restaurierende Material durchaus gewisse Besonderheiten mit sich bringt. Denn Fliesen werden restauriert, damit sie weiterhin in Gebrauch sein können. Das trifft in besonderem Maße auf unser Spezialgebiet, antike Bodenfliesen und -platten aus gebranntem Lehm, zu.
Ein Fliesenrestaurator muss also sehr genau abwägen, welche Arbeiten in welchem Maße, ob reine Konservierung, vollständige Restauration oder gar die komplette Wiederherstellung/Rekonstruktion, bei der Erhaltung von Bodenfliesen ineinander greifen sollen. Die Entscheidung, wie mit dem restaurierten Gegenstand weiter verfahren werden soll, wird bereits am Anfang, gleich nach der Entdeckung getroffen. Gerade weil die einzelne Fliese immer als Teil eines Gesamtgefüges zu betrachten ist.
Restauration von historischen Fliesen-Fußböden
Besitzer, Bauherren, Denkmalpfleger, Architekten entscheiden über das kulturelle Erbe
Für den Fliesenrestaurator stellt sich IMMER die Frage nach der EINMALIGKEIT einzelner Fundstücke, also Fliesen, als Teil eines Gesamtgebildes oder -werkes. Aus vielen Einzelfliesen gefertigte Schmuckböden wie in der Kölner Kirche St. Gereon sind noch viel seltener als farbenprächtige, ornamentreiche Wandflächen, wie wir sie vom berühmten Ischtar-Tor aus Babylon kennen.
Für uns als Fliesenrestauratoren stellt sich niemals die Frage nach der technischen Machbarkeit bei der Restaurierung von Fliesen. Genauso wenig ist unsere Arbeit vom Streben nach Prestige oder dem Gedanken, unsere persönliche Handschrift zu etablieren oder auszubauen, geleitet. Denn ob etwas konservierbar oder restaurierbar ist, ist einzig und allein eine Frage des gesellschaftlichen Wollens, das wiederum von den Ressourcen bestimmt wird. Möchten wir als Gesellschaft unser Erbe erhalten oder vergessen?
Deshalb beraten wir die Besitzer oder Verantwortlichen von Restaurationsobjekten gern bei der Entscheidung über das sinnvollste Vorgehen. Neben Kunsthistorikern sind dabei natürlich auch die Landeskonservatoren mit den jeweiligen Bauforschungsabteilungen und die Denkmalpflege- und Denkmalschutzbehörden des jeweiligen Bundeslandes eingebunden, genau wie die untergeordneten Fachinstanzen der Städte und Gemeinden sowie die eigenen Denkmalpflegeeinrichtungen und -abteilungen der Kirchen. Erst nach genauester Auswertung der Befundlage wird abgewogen und schließlich entschieden, ob konserviert, restauriert oder umfassend durch Teil-Rekonstruktion oder gar vollständige Rekonstruktion neugestaltet wird.
Immer wieder gab es und gibt es die Möglichkeit, die komplette Neufassung eines historischen Bodens zu wagen. Wenn sich alle Beteiligten für eine vollständige Wiederherstellung aussprechen, sind wir als Fliesenrestauratoren bestens aufgestellt. Denn neben unseren eigenen Laboren und Archiven verfügen wir nicht nur über eine eigene Restauratorenwerkstatt, sondern auch über eine eigene Manufaktur.
* Kier, Hiltrud: Der mittelalterliche Schmuckfußboden unter Berücksichtigung des Rheinlandes, Düsseldorf 1972, S. 14