Rekonstruktion von Fliesenfußböden für das Landesmuseum Zürich
Eine Reise durch ein Jahrtausend traditioneller Handwerkskunst
Mit mehreren hunderttausend Gästen jährlich ist das Landesmuseum Zürich, das bis 2009 unter dem Namen „Schweizerisches Nationalmuseum“ firmierte, nach wie vor das meistbesuchte historische Museum der Schweiz. Mit seiner einzigartigen Sammlung von kulturgeschichtlichen Exponaten erfreut es sich bereits seit seiner Eröffnung im Jahr 1898 allergrößter Beliebtheit bei Menschen aus aller Welt.
Das Schweizerische Nationalmuseum heute. Foto:©ATELIER-BRUECKNER/Daniel-Stauch
Wegen der Vielfalt und der Menge der Ausstellungsstücke entschieden sich die Verantwortlichen zu Beginn unseres Jahrtausends für eine umfassende Umstrukturierung und Sanierung, die auch eine Rekonstruktion der historischen Fußböden beinhalten sollte. Zudem war ein moderner Erweiterungsbau geplant, der sich mit dem burgähnlichen, wie der Buchstabe G geformten Original-Gebäude des berühmten Historismus-Architekten Gustav Gull so ergänzen sollte, dass erstmals auch ein tatsächlicher Rundgang durch das Museum möglich werden würde.
In einem langwierigen Auswahlverfahren wurden schließlich die Baseler Architekten Christ & Gantenbein damit beauftragt, den Neubau für das nordwestlich des Hauptbahnhofs, beim heutigen Platzspitzpark, gelegene Landesmuseum Zürich zu entwerfen. Die Verantwortung liegt beim Schweizer Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, das alle Staatsbauten des Landes verwaltet.
Der Raum „Untere Kapelle“ mit schwarzen, rekonstruierten Relieffliesen von Karsten Blättermann. Im Durchgang links sind handbemalte, mehrfarbige Relieffliesen des Raums „Mittlerer Hof“ zu erkennen. Foto: ©ATELIER-BRUECKNER/Daniel-Stauch
Rekonstruierte Fußböden für ein aufwändiges Restaurationsprojekt
Fliesen für drei liebevoll gestaltete Museumsräume
Der Spatenstich für den Erweiterungsbau erfolgte am 2. März 2012; ein gutes Jahr später wurde der Grundstein gelegt und bereits im Sommer 2016 konnten die neuen Teile des Landesmuseums inklusive Bibliothek, Auditorium, Shop und Gastro-Bereich eröffnet werden.
Insgesamt währte die Planungs- und Bauphase für die Sanierung und Erweiterung des Landesmuseums Zürich, die schließlich im August 2020 ihren Abschluss fand, sage und schreibe 20 Jahre. Auch wenn die Kosten von etwa 250 Millionen Franken für den ein oder anderen unglaublich anmuten, sind sie am Ende ein lohnenswertes Investment in mancherlei Hinsicht.
Im renovierten Westflügel wurde die neu gestaltete Dauerausstellung zum Schweizer Handwerk und Kunsthandwerk eröffnet. Insgesamt sind dort 7.000 Objekte aus fast 1.000 Jahren auf 2.000 Quadratmetern, verteilt auf drei Stockwerken mit 35 Räumen, untergebracht.
Die paradigmatischen Fliesenfußböden, die allesamt aus früheren Jahrhunderten stammen, wurden aufwändig restauriert oder rekonstruiert, das heißt entweder wurden die Böden mit Fliesen ergänzt, die nach historischen Verfahren einzeln hergestellt werden konnten, oder der gesamte Fußbodenbelag musste anhand von historischen Referenzen, also Bildern und Zeichnungen, rekonstruiert werden. Zudem gab es vom Schweizer Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) die Auflage, dass ausnahmslos alle Fußböden für die Sicherheit der Besucher besonders abrieb- und rutschfest sein mussten.
Ab Sommer 2019 waren die historischen Zimmer schließlich wieder an ihren ursprünglichen Orten eingebaut, aufgefrischt und ins beste Licht gesetzt. Für die Besucherinnen und Besucher des Landesmuseums hat sich der erhebliche Aufwand bei der Restaurierung gelohnt: Die Fußböden erstrahlen in neuem Glanz und erzählen nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern zugleich auch die Geschichte des Museums.
Kunsthandwerkliches Spektrum in seiner Entwicklung
Beispielhafte Restaurierung historischer Böden im historischen Museum
Historische Raumarchitekturen gehörten von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert zum Repertoire kulturhistorischer Museen. Die im Landesmuseum in Zürich ausgestellten historischen Zimmer mit ihren unvergleichlichen Fußböden und ihren aus öffentlichen und privaten Bauten stammenden Raumausstattungen sind Zeugnisse vergangener Wohnformen und beispielhafter Handwerkskunst von der Spätgotik bis zum Barock.
Historische Zimmer stellen kulturhistorische Museen immer wieder vor Herausforderungen, da sie eine doppelte Funktion haben – einerseits als einzigartige Sammlungsstücke, andererseits als in sich geschlossene Ausstellungsräume.
Rekonstruktion und Restauration von Fliesenböden aus unterschiedlichen Zeitepochen
Jeder Raum mit einer anderen Herausforderung
Mit seinen historischen Raumarchitekturen kombiniert das Schweizer Landesmuseum ganz bewusst verschiedenste Stile miteinander und war deshalb schon vor seiner Eröffnung im Jahr 1889 umstritten, zugleich aber weit über die Landesgrenzen berühmt für seine historischen Zimmer mit einzigartigen, handgefertigten Fußböden. Neben dem eklektizistischen Ansatz fühlten sich die verantwortlichen Planer, Gestalter und Erbauer verpflichtet, ausschließlich traditionelle Handwerkskunst und -arbeit in der Ausstellungen nicht nur zu zeigen, sondern auch anzuwenden.
Moodboard in der Manufaktur: Gerade werden die handbemalten Replikate für das „Lochmann-Zimmer“ konzipiert.
Dies bildete von Anfang an einen ausdrücklichen Kontrast zur damaligen Gegenwart im Zeitalter der industriellen Revolution, die von unglaublichen technischen Innovationen, neuen Produktionsmethoden und Herstellungsverfahren geprägt war. Dieses nostalgische Erinnern führte dazu, dass Jahrhunderte alte Original-Fliesen aus Kirchen und Klöstern sowie handwerklich anspruchsvolle Kopien solcher Fußböden – quasi als ein Hinüberretten alter Techniken – im Museum zum Einsatz kamen.
Und auch heute, da umfangreiches Wissen über Hightech-Materialien aller Art technisch fast alles möglich macht, bleibt sich das Landesmuseum Zürich bei der aufwändigen Sanierung des Westflügels treu: Denn einmal mehr haben sich die Bauherren gezielt für traditionelles Handwerk auch und gerade bei der Rekonstruktion der Fußböden entschieden.
Das zeigt, dass hier das Verständnis von Bau- und Handwerkskunst und der besondere Anspruch an Qualität geteilt und geschätzt wird. Nicht allein das umfangreiche Wissen über die Stilarten vergangener Epochen, deren Beherrschung und Umsetzung ins Dreidimensionale, wie dies zum Beispiel ein Keramikofen erfordert, qualifizieren für ein solches Projekt. Auch solides handwerkliches Können und das fachgerechte Ausführen alter Techniken sind Voraussetzung.
Vom Spätmittelalter bis zur industriellen Revolution
Fliesenreplikate aus verschiedenen Epochen für authentische Fußböden
Die Aufgabenstellung zur Reproduktion historischer Fußböden in den drei Zimmern des Nationalmuseums war besonders herausfordernd, weil der zu reproduzierende Fliesenbelag einerseits teilweise völlig zerstört war, er zudem jeweils aus unterschiedlichen Epochen stammte und sich deshalb auch stark voneinander unterschied.
Im Raum MITTLERER HOF war der Fußboden zerstört, es existierten noch wenige Exemplare, bei denen es sich selbst bereits um historische Fliesen-Replikate aus dem Jahr der Eröffnung des Nationalmuseums 1898 handelte. Sie hatten den Original-Belag aus der „Winterabtei“ des ehemaligen Zisterzienserklosters Wettingen im Kanton Aargau aus dem 16. Jahrhundert nachgebildet. Die 64 m² der quadratischen, glänzend lasierte Profil-Fliese mit grün-blau-gelbem Blütenmotiv im Format 13,5×13,5×2,5 cm musste mühsam mit der Hand bemalt werden.
Die originale Fliese als Vorlage
Erste Tests mit Form, Farbe und Brand
Erste Rekonstruktion
Fertige Rohlinge aus weißem Lehm
Handbemalung in der Manufaktur
Rekonstruktion des Fliesenbodens
Rekonstruierter Fußboden kurz nach dem Verlegen der Fliesenreplikate im Raum „Mittlerer Hof“.
Auch im Raum UNTERE KAPELLE war der Fliesenbelag zerstört; auch hier existierten nur noch wenige Replikate, die im Jahr 1898 vom Originalfußboden der Aargauer Kirche in Königsfelden aus dem 14. Jahrhundert gefertigt worden waren. Hier musste eine quadratische Fliese mit silber-grauer, stark glänzender, tiefer Profilierung mit einem Blattrelief im Format 13,5×13,5×2,5 cm mit der Hand hergestellt werden. Die 94 m² Bodenfliesen sollten zudem modernen Ansprüchen starken Publikumsverkehrs in Fragen der Hygiene, Rutschsicherheit und Trittfestigkeit angepasst werden.
Die originale Fliese als Vorlage
Erste Tests: das Spitzoval ergibt im Viererverband einen Kreis
Fertige Rohlinge aus weißem Lehm
Vom Original nicht zu unterscheiden: Schwarze Relieffliesen-Replikate im Raum „Untere Kapelle“.
Wie aus einem Guss: Die Fliesenreplikate im Raum „Untere Kapelle“ fügen sich nahtlos in das Gesamtgefüge ein.
Die frisch verlegten handgeformten Relieffliesen im Raum „Untere Kapelle“.
Der Raum „Untere Kapelle“ kurz nach der Rekonstruktion des Fliesenbodens in Richtung Fenster.
Der Raum „Untere Kapelle“ kurz nach dem Verlegen der frischen Fliesenreplikate in Richtung Treppe.
Im üppig-überbordenden LOCHMANN-SAAL, der ja bekanntermaßen die Entwicklung nach der Renaissance repräsentiert, waren gleich zwei unterschiedliche Fliesenbeläge zu rekonstruieren. Der Festsaal stammt vom Herrensitz des Oberst Heinrich Lochmann, der 1654 seinen Adelbrief erhielt, im Langen Stadelhof in Zürich. Schon zu Lebzeiten des berühmten Schweizer Kommandanten zierten die Decke Malereien mit Darstellungen aus der antiken Mythologie, an die sich eine Porträtgalerie mit 57 Mitgliedern des französischen Königshauses, hervorragenden Staatsmännern und Kriegshelden aus dieser Zeit anschließt. In die Tische eingelassen waren Reliefs mit Projekten für die Befestigung Zürichs.
Auch hier war der originale Fußbodenbelag zerstört; es existierten aber einige historische Fliesenexemplare aus der Hafnerei (Töpferei) Keiser aus dem Jahre 1898. Für den Boden musste eine handbemalte und glasierte Fliese in blau-gelb-brauner Farbgebung im Format 18,3×18,3×1,8 cm mit der Hand hergestellt werden. Die 80 m² quadratische Bodenfliesen sollten zudem modernen Ansprüchen starken Publikumsverkehrs in Fragen der Hygiene, Rutsch- und Trittfestigkeit angepasst werden.
Originale historische Fliese
Erste Tests von Farbe und Brand
Entwürfe für den Randfries, Original
Handbemalung der Fliesen in unserer Manufaktur
Fachgerechte Verlegung des Randfries‘
Rekonstruierter Fußboden mit den frisch gebrannten und von Hand bemalten Lehmfliesen
Im „Lochmann-Saal“ wurde neben den großflächigen Bodenfliesen auch der Randfries rekonstruiert.
Eine weitere Aufgabe im LOCHMANN-SAAL bestand darin, den Fußbodenbelag mit einem ebenfalls handbemalten und glasierten Randfries mit floralem Muster in Gelb und Braun auf weißem Grund zu gestalten. Das Format für die 20m² Bodenumrandung lag bei 36,8×18,4×1,8 cm, auch hier mussten die Fliesen selbstredend den Ansprüchen eines starken Publikumsverkehrs entsprechen.
Museum: Das Landesmuseum Zürich ist das meistbesuchte historische Museum der Schweiz. Es wurde am 25. Juni 1898 eröffnet. Seit Januar 2010 ist es Teil des Schweizerischen Nationalmuseums. Diese Institution umfasst drei kulturgeschichtliche Museen und ein Sammlungszentrum.
Aufgabenstellung: Entwicklung und Rekonstruktion von vier verschiedenen glasierten und handbemalten Lehmfliesen (teilweise mit Relief) in drei Räumen nach historischem Vorbild und mit traditionellen Herstellungsverfahren aus der Zeit vor der industriellen Revolution, die zugleich aber den modernen Anforderungen starken Publikumsverkehrs genügen.
Arbeitsschritte: Bestandsaufnahme, Gutachten, Planung, Herstellung der vier Fußbödenbeläge in eigener Manufaktur, Verlegung durch eigenes Handwerker-Team
Fläche und Material: Sonderanfertigung von insgesamt 260 m² Fliesenreplikaten nach historischen Vorbildern in verschiedenen Formaten, glasiert, handbemalt, teilweise mit Relief oder Prägung, für starken Publikumsverkehr geeignet.
Dauer: 12 Wochen für Gutachten, Planung, Produktion, Verlegung und Trocknung
Architekten Christ & Gantenbein, Schweiz; Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, Schweiz
Publikationen: Renovation Schweizerisches Landesmuseum Zürich 2016-2019; Period Rooms – Die Historischen Zimmer im Landesmuseum Zürich
Fotos: ©ATELIER-BRUECKNER/Daniel-Stauch